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Am Jahrestag des Todes unseres Sohnes fand ich meinen Mann in unserer heiligen Hütte mit seiner schwangeren Geliebten.
Er schickte mir ihre Hochzeitseinladung, zusammen mit einer Aufnahme, in der er mich wegen des Traumas, das unseren Sohn getötet hatte, als „besudelt“ bezeichnete und gestand, mich heimlich sterilisiert zu haben, um einen „reinen“ Erben zu bekommen.
Er dachte, er würde eine neue Dynastie gründen; ich beschloss, zur Hochzeit zu gehen und seine bis auf die Grundmauern niederzubrennen.
Kapitel 1
Eva Krüger POV:
Die allererste Regel, die Hanno und ich je aufgestellt hatten, war, immer ans Telefon zu gehen, wenn der andere anrief. Immer. Es war eine Regel, geboren aus Blut und Verzweiflung in den regennassen Straßen von Hamburg, als wir nichts weiter waren als Kinder mit leeren Mägen und Herzen voller Ehrgeiz. Als also das Handy meines Mannes am Jahrestag des Todes unseres Sohnes zum fünften Mal auf die Mailbox umsprang, wusste ich, dass er nicht nur beschäftigt war. Er war bei jemand anderem.
Jedes Jahr an diesem Tag schotteten wir uns von der Welt ab. Keine Deals, keine Meetings, keine Anrufe. Wir fuhren die zwei Stunden nach Norden zur Hütte an der Ostsee, die wir von unserer ersten sauberen Million gekauft hatten. Es war unser Heiligtum, der stille, geweihte Ort, an dem wir uns erlaubten, um den Sohn zu trauern, den wir nie im Arm halten durften. Wir zündeten eine einzelne weiße Kerze an, saßen auf der abgenutzten Holzveranda und sprachen kein Wort, bis die Sonne unter dem Horizont versank und das Wasser in Orange- und Violetttönen malte.
Es war unser Ritual. Ein stilles Versprechen, dass wir selbst in der erstickenden Stille unseres Verlustes niemals allein waren. Wir hatten einander.
An diesem Morgen wachte ich allein in unserem riesigen Bett auf, die Laken auf seiner Seite waren kalt und unberührt. Ein eisiger Knoten bildete sich in meinem Magen. Als bis Mittag keine Nachricht kam, begann das Eis zu splittern. Um drei Uhr nachmittags fühlte es sich an, als würde mir ein Eisblock die Luft abdrücken.
Ich erinnerte mich, wie er mich vor Jahren vor der Klinge eines Rivalen geschützt hatte. Der Stahl schnitt tief in seinen Rücken, eine Wunde, die eine dauerhafte, gezackte Narbe hinterlassen würde. Er war auf mich zusammengebrochen, sein Blut warm auf meiner Wange, und hatte geflüstert: „Ich bin hier, Eva. Ich bin immer hier.“ Und das war er gewesen. Zwanzig Jahre lang war Hanno Voss die einzige Konstante in einem Leben, das von Chaos geprägt war. Er war mein Partner, mein Stratege, der Architekt des Imperiums, das wir aus dem Nichts aufgebaut hatten.
Jetzt war er einfach … weg.
„Lars“, sagte ich in mein Handy, meine Stimme gefährlich ruhig. „Ortet Hannos Wagen. Sofort.“
Es gab kein Zögern. „Wird gemacht, Chefin.“
Weniger als eine Minute später kam das GPS-Signal. Mein Blut gefror in meinen Adern. Er war bei der Hütte. Er war ohne mich dorthin gefahren.
Die Fahrt war ein verschwommener Film aus kahlen Winterbäumen und grauem Himmel. Meine Männer, ein stiller Konvoi aus schwarzen Limousinen, flankierten meinen Wagen. Sie wussten es, ohne zu fragen. Sie wussten, welcher Tag heute war, und sie kannten den Blick in meinen Augen. Es war derselbe Blick, den ich vor einer feindlichen Übernahme hatte, bevor ich einen Mann brach, der uns verraten hatte. Es war der Blick einer Königin, die sich auf den Krieg vorbereitet.
Wir bogen in die lange Schotterauffahrt ein, die Reifen knirschten wie Knochen. Ich sah seine schwarze Limousine neben der Veranda geparkt. Aber da war noch ein anderes Auto, ein billiger, alter Opel Corsa, der danebenstand. Er wirkte neben der rustikalen Eleganz der Hütte so fehl am Platz, dass es sich wie eine bewusste Beleidigung anfühlte.
Ich stieg aus und gab meinen Männern ein Zeichen, zu warten. Die Luft war eiskalt und biss auf meiner Haut. Durch das große Panoramafenster konnte ich ein Feuer im Kamin lodern sehen. Und dann sah ich sie.
Hanno stand am Kamin, den Rücken zu mir. Vor ihm stand eine junge Frau, kaum älter als ein Teenager. Sie war zierlich, mit dunklem Haar, das ihr in einer unordentlichen Kaskade über den Rücken fiel. Sie trug eines seiner Hemden, den weichen, grauen Kaschmirpullover, den ich ihm zum letzten Geburtstag geschenkt hatte. Er hing an ihrer schmalen Gestalt herab, die Ärmel verschluckten ihre Hände.
Er streckte die Hand aus und strich ihr eine verirrte Haarsträhne hinters Ohr, seine Berührung war unmöglich sanft. Genauso hatte er mich früher berührt, wenn er dachte, ich würde schlafen. Eine zärtliche, besitzergreifende Geste, die mein Herz immer vor Liebe hatte schmerzen lassen. Ihn das bei jemand anderem tun zu sehen, zerriss mir das Herz.
Sie kicherte, ein leichtes, luftiges Geräusch, das in meinen Ohren schmerzte. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn.
Die Welt geriet ins Wanken. Die Luft in meinen Lungen wurde zu Asche. Das war nicht nur ein Verrat. Das war eine Schändung. Er hatte sie hierhergebracht. An unseren Ort. An den Ort unseres Sohnes.
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