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Die neuesten Geschichtslügen

Die neuesten Geschichtslügen

Heinrich Kanner

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Die neuesten Geschichtslügen by Heinrich Kanner

Chapter 1 Die Vorbereitung des Ultimatums

Die Berliner Regierung des Herrn v. Bethmann ist nicht, was sie sp?ter den anderen M?chten gegenüber vorgab, von der Wiener Regierung mit dem Ultimatum im Juli 1914 ebenso überrascht worden wie unter Bülow im Oktober 1909 mit der Annexion Bosniens. Denn von der Annexion hat diese tats?chlich erst gleichzeitig mit den anderen M?chten und dasselbe wie diese erfahren, an deren Vorbereitung auch in keinerlei Weise mitgearbeitet, wie sich aus dem Rotbuch des Grafen Aehrenthal und allen seitherigen ?u?erungen der Beteiligten ergibt, zuletzt auch aus einem Brief des Kaisers Wilhelm II.

an den Zaren vom 8. J?nner 1909[1]. Da? aber die Wiener Regierung nach der Mordtat von Sarajevo, 28. Juni 1914, etwas, und zwar etwas Entscheidendes zu unternehmen beabsichtige, hat die Berliner Regierung schon am 2. Juli 1914 aus einem vom 30. Juni datierten Bericht ihres Wiener Botschafters Herrn v. Tschirschky erfahren, der besagte, man wünsche in Wien ?einmal mit den Serben gründlich abzurechnen[2]". In einer Unterredung mit dem Kaiser Franz Joseph vom 2. Juli stellte sich Herr v. Tschirschky bereits auf den Standpunkt, ?da? Deutschland geschlossen hinter der Monarchie zu finden" sein werde, ?sobald es sich um die Verteidigung ihrer Lebensinteressen handle. Die Entscheidung darüber, wann und wo ein solches Lebensinteresse vorliege, müsse ?sterreich selbst überlassen bleiben[3]". Das lie? sich h?ren. Eine Kooperation unter solchen einseitigen Bedingungen, eine Art L?wenvertrag zu seinen Gunsten, bei dem er unternehmen durfte, was ihm beliebte, der andere aber von vorneherein verpflichtet war, blind seinen Schritten zu folgen, war ganz nach dem Geschmack Franz Josephs. In seinem Handschreiben vom selben Tage an Kaiser Wilhelm II., das diesem mit einem Memorandum Berchtolds am 5. Juli überreicht wurde, rückte er denn auch mit der Sprache ziemlich deutlich heraus, indem er die ?Isolierung und Verkleinerung Serbiens" als Programm seiner Regierung erkl?rte und nichts weniger verlangte, als da? ?Serbien als politischer Machtfaktor am Balkan ausgeschaltet" werde[4], und er hatte die Genugtuung, da? die Berliner, Kaiser wie Reichskanzler, ganz im Sinne des Herrn v. Tschirschky, auf sein Ansinnen ohneweiters eingingen. ?S. M." - telegraphierte der Reichskanzler am 6. Juli an Tschirschky - ?k?nne zu den zwischen ?sterreich-Ungarn und diesem Lande (Serbien) schwebenden Fragen naturgem?? keine Stellung nehmen, da sie sich seiner Kompetenz entz?gen. Kaiser Franz Joseph k?nne sich aber darauf verlassen, da? S. M. im Einklang mit seinen Bündnispflichten und seiner alten Freundschaft treu an Seite ?sterreich-Ungarns stehen werde", und Wilhelm II. selbst schrieb am 14. Juli an Franz Joseph, ?da? Du auch in den Stunden des Ernstes mich und mein Reich in vollem Einklang mit unserer altbew?hrten Freundschaft und unseren Bündnispflichten treu an Euerer Seite finden wirst. Dir dies an dieser Stelle zu wiederholen, ist mir eine freudige Pflicht[5]." Sie haben also auf jeden Einflu? bei der Wahl der zu verwendenden Mittel verzichtet. Diesen Standpunkt hat auch sp?ter der Kaiser in seinen intimen Randnoten zu den Berichten seiner Diplomaten, und die Berliner Regierung, zu ihrer Entlastung, in ihren Verhandlungen mit den anderen M?chten w?hrend der kritischen Tage wie sp?ter in ihren zahllosen Verteidigungsreden und -schriften w?hrend des ganzen Krieges festgehalten. Diesen Standpunkt hat auch Herr v. Bethmann in der Bundesratssitzung vom 1. August 1914 als Ausdruck einer drei?igj?hrigen Tradition definiert, indem er dem Bundesrat berichtete, er habe, als ?sterreich-Ungarn ihm mitteilte, da? es gegen Serbien ?einschreiten" müsse, geantwortet: ?Darüber, was ihr zu tun habt, ma?en wir uns kein Urteil an; das ist nicht unsere Sache. Aber es ist selbstverst?ndlich, da?, wenn der Bündnisfall eintritt, wir treu an euerer Seite stehen[6]." Das war eine Blanco-Vollmacht - ein Ausdruck, den auch der bayrische Gesch?ftstr?ger v. Sch?n in dem Bericht an seine Regierung vom 18. Juli 1914 gebraucht[7].

Es ist deswegen unwahr, wenn Herr v. Jagow jetzt nachtr?glich in seiner Rechtfertigungsschrift behauptet, da? er sich über das Vorgehen ?sterreich-Ungarns ?gewisserma?en die Kontrolle vorbehalten" habe, unwahr, wenn er sagt: ?von einer carte blanche kann also nicht die Rede sein[8]". Ebenso unwahr, wenn Herr v. Bethmann in seiner Rechtfertigungsschrift leugnet, da? seine Regierung ?dem Ballplatz einen Freibrief ausgestellt h?tte[9]". Skurril, wenn Herr v. Bethmann in einem Atem sich darauf etwas zugute tut, da? er das Ultimatum ?nicht ausdrücklich gebilligt" habe (das ist ja eben die Wirkung des Freibriefes!), unsinnig, wenn Herr v. Bethmann zur Begründung sagt: ?Von Inhalt und Form eines einmal ausdrücklich gebilligten Ultimatums h?tten wir uns nicht wieder losl?sen, wir h?tten dann die ganze Vermittlungsarbeit nicht verrichten k?nnen, die wir tats?chlich verrichtet haben." Ja, hat er sich denn von dem nicht ausdrücklich gebilligten Ultimatum losgel?st? Hat er nicht im Gegenteil an Inhalt und Wortlaut dieses Ultimatums bis zuletzt festgehalten, wie der Qu?ker an dem Bibelwort? Hat er auch nur einen I-Punkt daran zu ?ndern ?sterreich-Ungarn, selbst nach dessen Erla?, vorgeschlagen? Hat er nicht die anderen Gro?m?chte wie ein Hofhund weggebellt, sowie sie in den ersten Tagen nach dem Ultimatum dessen Milderung verlangten? Und wann hat denn seine Vermittlungst?tigkeit begonnen? Doch erst, nachdem die anderen M?chte, die Fruchtlosigkeit solchen Beginnens einsehend, auf eine ?nderung des Ultimatums verzichtet und andere Ausgleichsvorschl?ge gemacht hatten, durch die der Inhalt und die Form des unseligen Ultimatums unberührt blieben.

Wie unwahr, bewu?t unwahr die nachtr?gliche Darstellung der Herren v. Bethmann und v. Jagow ist, ergibt sich aus einem Vergleich ihrer nach dem verlorenen Krieg verfa?ten Rechtfertigungsschriften mit ihrem vor dem Kriegsausbruch, zur Zeit der Siegeszuversicht, zusammengestellten amtlichen deutschen Wei?buch. Dort sagten sie, weil sie damit ihre politische Einsicht zu beweisen glaubten, ganz richtig: ?Wir lie?en ?sterreich v?llig freie Hand in seiner Aktion gegen Serbien[10]." Das war der Sinn der von ihnen unterwürfig angenommenen Formel des Kaisers Franz Joseph und der drei?igj?hrigen Bündnistradition, die Herr v. Bethmann wenigstens im Bundesrat am 1. August 1914 so definierte, die er aber in seiner Rechtfertigungsschrift nach dem Kriege vollst?ndig vergessen zu haben scheint. Nach dieser Kompetenzformel h?tte die Wiener Regierung der Berliner über das Ultimatum bis zu dessen überreichung an Serbien ebensowenig zu sagen gebraucht wie den anderen M?chten. So hat es auch die Berliner Regierung den anderen M?chten dargestellt. Es ist aber nicht wahr. Die Wiener Regierung hat der Berliner, über die Kompetenzformel hinausgehend, von ihren Absichten schrittweise Mitteilung gemacht, ihr dies auch durch den k. u. k. Botschafter in Berlin bereits am 9. Juli freiwillig in Aussicht gestellt[11], die Berliner Regierung hat aber ihrerseits, der zu ihrer Entmannung bestimmten Formel sklavisch gehorchend, sich jeder Kritik begeben und die Wiener Regierung durch gute Ratschl?ge und durch Dr?ngen bei der Ausführung ihrer wahnwitzigen Pl?ne unterstützt, best?rkt, angefeuert.

Folgen wir den Ereignissen! Am 7. Juli fand in Wien der erste gemeinsame Ministerrat über die serbische Angelegenheit statt. Diesen Programmpunkt verschwieg man in der ganzen ?ffentlichkeit. Der deutsche Botschafter in Wien Herr v. Tschirschky aber erfuhr, was dort verhandelt worden war, welche Stimmungen sich dabei gezeigt hatten, wie Graf Tisza den Pl?nen des Grafen Berchtold widerstrebt hatte, und über all das berichtete er am 8. Juli der Berliner Regierung. In diesem Bericht teilte er der Berliner Regierung auch schon den ganzen jesuitischen Ultimatumsplan des Grafen Berchtold mit, genau wie dieser sp?ter ausgeführt worden ist, n?mlich, da? Graf Berchtold die ?Forderungen an Serbien so einzurichten" beabsichtige, da? ?deren Annahme ausgeschlossen erscheint[12]". Diese trefflichen Informationen hatte Herr v. Tschirschky aus dem Munde des Grafen Berchtold selbst. Zwei Tage sp?ter, am 10. Juli, teilt Graf Berchtold dem Herrn v. Tschirschky den Verlauf seiner Audienz beim Kaiser Franz Joseph vom 9. Juli mit, und Herr v. Tschirschky berichtet darüber sofort nach Berlin. Graf Berchtold skizziert ihm die Forderungen, die er an Serbien stellen wolle, ungef?hr schon so, wie er sie sp?ter im Ultimatum tats?chlich gestellt hat, mitsamt der 48stündigen Galgenfrist. ?Er sinne", sagt Berchtold zu Tschirschky, ?noch darüber nach, welche Forderungen man stellen k?nne, die Serbien eine Annahme v?llig unm?glich machen würden."(!) ?Berchtold", berichtet Tschirschky weiter, ?würde gerne wissen, wie man in Berlin darüber denkt[13]." Nun h?tte, da Berchtold um Rat fragte, die Berliner Regierung die beste Gelegenheit gehabt, ohne sich auch nur dem Vorwurf einer Einmischung von Seite des Bundesgenossen auszusetzen, das zu tun, wessen sie sich sp?ter berühmt hat und was ihre Pflicht gewesen w?re, n?mlich in Wien m??igend zu wirken. Was tut aber die Berliner Regierung? Sie ist noch p?pstlicher als der Papst. Sie verweigert dem Grafen Berchtold den von ihm erbetenen Rat. Herr v. Jagow telegraphiert am 11. Juli an Herrn v. Tschirschky: ?Zur Formulierung der Forderungen an Serbien k?nnen wir keine Stellung nehmen, da dies ?sterreichs Sache ist." Und dann gibt er dem Grafen Berchtold die Anregung, gleichzeitig mit dem ?Ultimatum" - Herr v. Jagow nennt es als erster bereits in diesem Zeitpunkt so - eine Sammlung von Materialien über die gro?serbische Bewegung zu publizieren - eine Anregung, die Graf Berchtold mit dem sogenannten ?Dossier" sp?ter befolgt hat[14]. Herr v. Jagow begann also schon in diesem frühen Zeitpunkte, an dem von Berchtold eingeleiteten Kriegskomplott mitzuarbeiten - allerdings nur in untergeordneter Stellung - als Handlanger Berchtolds, der sich in der Hauptsache jeder Einflu?nahme enthielt, durch allersubmisseste Regievorschl?ge aber das Gelingen des Berchtoldschen Planes zu sichern bestrebt war.

Am 14. Juli sucht Graf Tisza unmittelbar nach einer Besprechung mit Berchtold den Herrn v. Tschirschky auf, teilt ihm mit, da? er sich nun auch zu Berchtolds Kriegsplan bekehrt habe, da? die Note an Serbien am Sonntag, den 19., im Ministerrat beschlossen, aber erst nach der Abreise Poincarés von Kronstadt, die, wie Tisza f?lschlich glaubte, am 25. erfolgen werde, in Belgrad überreicht werden solle. ?Die Note", teilt Graf Tisza weiter dem Herrn v. Tschirschky mit, ?werde so abgefa?t sein, da? deren Annahme so gut wie ausgeschlossen sei." Das alles gibt Tschirschky sofort nach Berlin weiter[15]. Berlin schluckt alles stumm hinunter. Unmittelbar nach Tiszas Besuch l??t Graf Berchtold Herrn v. Tschirschky zu sich kommen, um diesen auch seinerseits über das Ergebnis seiner Besprechung mit Tisza zu informieren, das Wichtigste ist die Mitteilung Berchtolds, da? Graf Tisza ?in erfreulicher Weise" dem Plane Berchtolds beigestimmt ?und sogar in manche Punkte eine Versch?rfung hineingebracht" habe. Auch darüber gibt Tschirschky sofort genauen Bericht nach Berlin[16], Berlin schluckt auch diese ?erfreuliche" Mitteilung stumm hinunter. Gegenüber dem ungeduldigen Berlin entschuldigt sich noch Graf Berchtold bei Herrn v. Tschirschky, da? ?lediglich die Anwesenheit Poincarés in Petersburg der Grund für den Aufschub der übergabe der Note in Belgrad sei". Am 17. Juli berichtet der Botschaftsrat der deutschen Botschaft in Wien, Prinz Stolberg, auf Grund einer Mitteilung des Grafen Berchtold dem Reichskanzler, da? die überreichung der Note in Belgrad am Donnerstag, 23. Juli nachmittags, erfolgen werde, da? Berchtold ?hoffe", da? Serbien die Note nicht annehmen werde, ?da ein blo?er diplomatischer Erfolg hierzulande (in ?sterreich-Ungarn) wieder eine flaue Stimmung ausl?sen werde[17]". Am 18. Juli schreibt Prinz Stolberg einen ausführlichen Brief mit denselben Mitteilungen an Herrn v. Jagow, fürchtet aber, da? Serbien die Forderungen ?sterreich-Ungarns annehmen k?nnte, und tut noch seine eigene Wohlmeinung hinzu, da? ?sterreich-Ungarn es zum ?Bruch" mit Serbien treiben müsse und sich mit einem ?sogenannten diplomatischen Erfolg" nicht begnügen dürfe. Er beruhigt sich aber schlie?lich mit der Versicherung des Grafen Hoyos, des Kabinettschefs Berchtolds, ?da? die Forderungen (an Serbien) doch derart seien, da? ein Staat, der noch etwas Selbstbewu?tsein und Würde habe, sie eigentlich unm?glich annehmen k?nne[18]". Wahrlich, Wien hat Berlin keinen Moment über seine Absichten im Unklaren gelassen. Was hat aber Berlin auf diese sich immer ungeheuerlicher auswachsenden Gest?ndnisse Wiens hin unternommen? M??igend eingewirkt? Wieder nicht! Am 20. Juli überreicht der serbische Gesch?ftstr?ger in Berlin Herrn v. Jagow eine ausführliche Note, in der die serbische Regierung die Mordtat von Sarajevo aufs sch?rfste verurteilt, den Wunsch ausspricht, ?mit der Nachbarmonarchie freundschaftliche Beziehungen zu unterhalten", und den Willen kundgibt, allen etwaigen Forderungen ?sterreich-Ungarns entgegenzukommen, nur solche Forderungen ausgenommen, ?die auch jeder andere Staat, der auf seine Würde und Unabh?ngigkeit bedacht ist, nicht erfüllen k?nnte". Schlie?lich bittet die serbische Regierung ?die ihr freundschaftlich gesinnte Kaiserliche (deutsche) Regierung, im Sinne der Vers?hnlichkeit gef?lligst wirken zu wollen[19]". Was aber tut Herr v. Jagow darauf? Herr v. Jagow erwidert dem serbischen Gesch?ftstr?ger, da? er ?es wohl begreifen k?nne, wenn man jetzt dort (in Wien) energische Saiten aufz?ge. Die Forderungen, die ?sterreich-Ungarn stellen wolle, seien ihm nicht bekannt[20]" - für welche Sprache Graf Forgach, in Vertretung des Grafen Berchtold, dem Herrn v. Jagow namens der k. u. k. Regierung dankt[21]. Der Staatssekret?r wu?te am 20. Juli schon l?ngst aus Tschirschkys Bericht vom 10. Juli das Wesentliche der von ?sterreich-Ungarn beabsichtigten Forderungen, vor allem, da? sie solche sein werden, die mit der Würde und Unabh?ngigkeit eines Staates unvertr?glich seien. Vom serbischen Gesch?ftstr?ger erfuhr er nun, da? die serbische Regierung solche Forderungen ablehnen werde. Herr v. Jagow wu?te also am 20. aus authentischen Quellen ganz genau, da? Graf Berchtolds Plan zum Kriege führen müsse. Was tat er? Dem serbischen Gesch?ftstr?ger spricht er im voraus seine prinzipielle Zustimmung zu den Berchtoldschen Forderungen aus, teilt dies der Wiener Regierung mit, die darin eine ausdrückliche Best?rkung ihrer Pl?ne sieht und dafür dankt. Wenn aber Herr v. Jagow wirklich m??igend h?tte wirken wollen, h?tte ihm die Initiative der serbischen Regierung vom 20. Juli, also ehe noch die Kugel aus dem Lauf war, die beste Gelegenheit geben k?nnen, zwischen Wien und Belgrad unter Ausschlu? von Petersburg zu vermitteln, nicht nur den Krieg zu vermeiden, sondern den Streit zu lokalisieren, anstatt Ru?lands Deutschland zur Vermittlungsstation zwischen Serbien und ?sterreich-Ungarn und Ru?lands Protektorat illusorisch zu machen.

Das ist aber der Berliner Regierung gar nicht eingefallen. Nicht nur, da? sie nichts tat, um die Wiener Regierung von ihren exzessiven Pl?nen zurückzuhalten, setzte sie vielmehr alles in Bewegung, um das Gelingen dieser Pl?ne zu sichern. Mit einer geradezu subaltern zu nennenden Beflissenheit ging sie, sofort nach Empfang des dem Handschreiben Kaiser Franz Josephs an Kaiser Wilhelm beigelegten Berchtoldschen Memorandums vom 2. Juli, daran, dessen Ideen, ohne Widerrede, wie einen h?heren Auftrag auszuführen. Die serbophobe und bulgarophile Balkanpolitik ?sterreich-Ungarns war bekanntlich im zweiten Balkankrieg in einen ausgesprochenen Gegensatz zu der Politik des Deutschen Reiches gekommen, die Rum?nien, Serbien und Griechenland gegen Bulgarien unterstützte, und dieser Gegensatz hatte durch die Publizierung der anl??lich des Bukarester Friedens zwischen dem deutschen Kaiser und dem K?nig von Rum?nien gewechselten Telegramme sogar zu einem ?ffentlichen Eklat geführt. Nach Empfang des Memorandums sattelte nun Berlin vollst?ndig um und folgte getreulich den Spuren der Wiener Politik. Wie ein Hund, dem ein Stein ins Wasser vorausgeworfen wird, so entsprachen die Berliner Staatsm?nner den Winken von Wien. Am 5. Juli war das Berchtoldsche Memorandum in Berlin überreicht worden, und schon am 6. sehen wir die Berliner Regierung an der Arbeit, die Ideen des Memorandums zu verwirklichen, n?mlich Bulgarien und die Türkei an den Dreibund anzuschlie?en, diese beiden Staaten durch ein Bündnis auch untereinander zu einigen und Rum?nien und Griechenland, wenn m?glich, von Serbien abzuwenden.

Am 6. Juli beauftragt Herr v. Jagow den Gesch?ftstr?ger in Bukarest, in diesem Sinne mit dem K?nig von Rum?nien zu sprechen, und den Gesandten in Sofia, die Schritte des ?sterreichisch-ungarischen Gesandten zu unterstützen[22]. Als sich Graf Berchtold nach wenigen Tagen die Sache mit Bulgarien anders überlegt und die Aktion zu vertagen für gut findet, winkt Herr v. Jagow sofort auch seinen Leuten in Bukarest und Sofia ab[23]. Nach den Ultimaten an Ru?land und Frankreich dringt nun Berlin am 1. August auf die Verst?ndigung mit Bulgarien, und diese n?hert sich denn auch noch in den ersten Augusttagen ihrem Abschlu?[24]. Beim K?nig von Rum?nien dagegen holt sich der deutsche Gesandte mit den Berchtoldschen Projekten einen Korb und eine unerfreuliche Lektion. K?nig Carol sagt ihm am 10. Juli, ?in Wien scheine man den Kopf verloren zu haben", über den Grafen Berchtold selbst sprach sich der K?nig ?nicht gerade schmeichelhaft" aus, die Hauptschuld an allem übel trügen die ?gewissenlosen Pre?treibereien", ?auch in ?sterreich müsse auf die Presse gewirkt werden, damit diese nicht allzusehr gegen Serbien hetze. Sasonow (mit dem der K?nig kurz vorher im Juni in Constantza anl??lich des Zarenbesuches zusammengekommen war) habe ihm gesagt, Ru?land denke nicht daran, einen Krieg zu führen." Der K?nig empfahl eine Demarche in Petersburg, damit von dort aus auf Serbien ernst eingewirkt werde. Er selbst erkl?rte sich gleichfalls bereit, ?einen Druck auf Serbien auszuüben". Alle diese Warnungen und Anregungen des sonst in Berlin so hoch angesehenen K?nigs Carol wurden von der deutschen Regierung in den Wind geschlagen. Selbst der Befehl des Kaisers, diesen Bericht des Bukarester Gesandten den Botschaften in Wien, Rom und Petersburg weiterzugeben, blieb unausgeführt[25]. Die Berliner Regierung hat eine heilige Scheu, die Kreise des gro?en Staatsmannes am Ballplatz zu st?ren, und gar auf Serbien via Petersburg einzuwirken, w?re eine schwere Kr?nkung für den Grafen Berchtold gewesen, der auf eine überrumpelung Serbiens und dessen Intransigenz seine Rechnung gestellt hatte.

Sehr aufregend gestalteten sich die Verhandlungen mit Griechenland, die der deutsche Kaiser selbst in einem Telegrammwechsel mit dem K?nig von Griechenland führte. K?nig Constantin lehnt zun?chst am 27. Juli die Berliner Pl?ne ab, mit der einfachen Begründung, da? er und sein Volk ?keinen Krieg" wollen. Darauf beschw?rt der Kaiser am 30. Juli seinen Schwager, den jüngst ernannten preu?ischen Generalfeldmarschall K?nig Constantin, beim Andenken seines ermordeten Vaters, nicht ?gegen meine Person und den Dreibund für die serbischen Meuchelm?rder Partei zu ergreifen", und droht ihm sogar für den Fall des Widerstandes mit einer dauernden Sch?digung ihrer pers?nlichen Beziehungen. Constantin wünscht aber, neutral zu bleiben, und str?ubt sich in seinem Telegramm vom 2. August mit aller Macht dagegen, nun pl?tzlich seine ganze politische Richtung zu ?ndern, dem Erbfeind Griechenlands, Bulgarien, zu einer Machterweiterung zu verhelfen, ?über die Serben herzufallen, da sie einmal unsere Verbündeten sind", und den Bukarester Frieden, dessen Dauerhaftigkeit Wilhelm II. selbst in seinem solennen Telegrammwechsel mit Carol erst im August 1913 garantiert hatte, umzusto?en. ?Von dem ist jetzt nicht mehr die Rede", schreibt der Kaiser, an dessen Wort man nicht deuteln soll, an den Rand dieses Telegramms, der ?Balkan marschiert", fügt der gro?e Friedenskaiser in befehlendem Ton hinzu, er antwortet dem griechischen K?nig nicht mehr selbst, sondern l??t ihm nur durch seine Regierung ankündigen, da?, wenn er ?nicht jetzt sofort mitgeht", er ?als Feind behandelt" werden wird[26]. Hier dient also der deutsche Kaiser pers?nlich als Zutreiber für den kriegssüchtigen Grafen Berchtold. Auch bei der Türkei sieht der Vielgesch?ftige pers?nlich nach dem ?Rechten". Hier st??t die papierene Kombination der Ballplatz-Weisen auf eine ganz neu erwachsene Schwierigkeit. Herr v. Jagow selbst, den Graf Berchtold am 14. Juli um seine Meinung fragen l??t, ist n?mlich entschieden dagegen, die Türkei in diesem Zeitpunkt an den Dreibund heranzuziehen[27]. Auch der deutsche Botschafter in Konstantinopel beeilt sich, am 18. Juli die Berliner Regierung davor zu warnen, indem er darlegt, da? die Türkei derzeit ?vollkommen bündnisunf?hig" sei[28]. Doch Graf Berchtold, der Tonangebende, siegt. Der Kaiser entscheidet am 24. von der hohen See aus, wo er gerade seine Erholungsreise macht, selbstverst?ndlich, ohne seinen Ministern auch nur formell Gelegenheit zur Raterteilung zu geben, ?trotz bestehender Zweifel über die Bündnisf?higkeit der Türkei", ?aus Opportunit?tsgründen die Geneigtheit der Türkei zum Dreibundanschlu? zu benützen[29]". So wird denn dieses Bündnis auch am 2. August geschlossen[30]. Der Verlauf des Krieges hat die Zweifel des Konstantinopler Botschafters gerechtfertigt. Blind und taub folgt Berlin der Führung Wiens. Auch die Warnungen des deutschen Botschafters in London, ihres wichtigsten Berichterstatters, schl?gt die Berliner Regierung in den Wind. Diesem kündigte bereits ein Erla? vom 12. Juli ?ernstere Ma?nahmen gegen Serbien" an, die ?zu allgemeinen Komplikationen führen k?nnten". Der Diplomat verstand, was die Euphemismen ?ernstere Ma?nahmen" und ?allgemeine Komplikationen" zu bedeuten hatten: ?Krieg gegen Serbien" und ?Weltkrieg". Der Londoner Botschafter Fürst Karl Lichnovsky, der in allen seinen Berichten ein richtiges, durch die Tatsachen nachtr?glich nur allzu traurig best?tigtes Urteil zeigt, warnt die Berliner Regierung sofort am 14. Juli vor Illusionen über die Haltung der englischen Regierung und der englischen Presse[31]. Herr v. Jagow repliziert am 15. Juli[32]. Lichnovsky versch?rft am 15. Juli seine Warnungen[33]. Zu dieser Depesche schreibt Herr v. Jagow an den Rand: ?Das ist leider alles richtig", verfolgt aber - noch mehr müssen wir nachtr?glich ?leider" sagen - seine von Wien inspirierte, von ihm selbst als falsch erkannte Politik weiter, ohne Lichnovskys Warnungen auch nur nach Wien weiterzugeben. Ist das noch bona fides, ist das Treue, ist das Ehrlichkeit?

Berlin erweist sich nach jeder Richtung des Vertrauens des Grafen Berchtold würdig. Seine Eingeweihtheit in die Wiener Pl?ne benützt der Reichskanzler, um den Ententem?chten bei den kommenden Verhandlungen einen kleinen Vorsprung abzugewinnen. Schon am 21. Juli, also zwei Tage vor überreichung des Ultimatums, erl??t Herr v. Bethmann einen ausführlichen Zirkularerla? an die Botschafter in Petersburg, Paris und London, worin er sie über die Pl?ne der Wiener Regierung - irreführt. Er versichert ihnen, um sie für die kommenden Verhandlungen zu instruieren, da? die Forderungen der ?sterreichisch-ungarischen Regierung an Serbien als ?billig und ma?voll angesehen werden k?nnen", und - der Heuchler! - spricht die ?Befürchtung" aus, die b?se serbische Regierung k?nnte diese ma?vollen Forderungen ablehnen und ?sterreich-Ungarn ?provozieren", wo doch der Reichskanzler sehr gut wei?, da? die Forderungen von Wien absichtlich unannehmbar formuliert worden sind, und Wien einen Krieg mit Serbien unter allen Umst?nden will, den er selbst durch Bündnisverhandlungen mit den anderen Balkanstaaten und Passivit?t gegenüber Serbien gut vorzubereiten so eifrig bestrebt ist. Da? ein Reichskanzler die eigenen Botschafter irreführt, um der Wiener Regierung zu helfen, geht doch wohl über alles erdenkliche Ma? von ?Nibelungentreue" hinaus. Um übrigens die Lüge, da? er das Ultimatum vor seiner überreichung nicht gekannt habe, aufrechterhalten zu k?nnen, hat Herr v. Bethmann diesen Erla? vom 21. Juli 1914 im deutschen Wei?buch vom Mai 1915 auf den 23. Juli nachdatiert[34]! Das geht noch über die Selbstverleugnung des Herrn v. Jagow! Dieser erachtete übrigens ganz untergeordnete Gelegenheiten seiner nicht für unwürdig, um sich dem gro?en politischen Denker in Wien, dem Grafen Berchtold, nützlich zu erweisen. Eines Tages h?rte Herr v. Jagow, da? das Ultimatum erst unmittelbar nach der Abreise Poincarés von Kronstadt in Belgrad überreicht werden sollte. Diese Schlauheit gef?llt ihm. Sie mu? gelingen. Aber Herr v. Jagow fürchtet die bekannte Wiener Schlamperei. Deswegen erkundigt er sich selbst beim deutschen Botschafter in Petersburg und beim Admiralstab der deutschen Marine nach der Stunde der Abfahrt Poincarés von Kronstadt und macht dann Wien darauf aufmerksam, da? es sich tats?chlich verrechnet hatte, da es die überreichung des Ultimatums für 5 Uhr nachmittags am 23. Juli angesetzt hatte; denn dann würde die Demarche ?noch w?hrend der Anwesenheit Poincarés in Petersburg bekannt werden". Für diesen Wink - den zweiten des Herrn v. Jagow in diesem Stadium der Aktion - erwies sich Wien dankbar und verschob in der Tat die übergabe des Ultimatums um eine Stunde, d. i. auf 6 Uhr abends[35].

Darnach kann man schon beurteilen, wie viel von der Behauptung des deutschen Wei?buches (1914) zu halten ist, die Herr v. Jagow in seine Rechtfertigungsschrift übernimmt[36]: ?Wir haben an den Vorbereitungen (zur Aktion ?sterreich-Ungarns gegen Serbien) nicht teilgenommen." Fast ein ganzer Band, der erste Band der von der republikanischen Regierung Deutschlands publizierten ?Dokumente zum Kriegsausbruch" ist den diplomatischen Noten gewidmet, die die deutsche Regierung in Sachen der serbischen Aktion vor der überreichung des Ultimatums nach allen Windrichtungen ausgesendet und von überallher empfangen hat. Sogar Noten an die ausw?rtigen Vertretungen des Deutschen Reiches, die ausw?rtige Presse noch vor der überreichung des Ultimatums mit Geld und auf andere Art zu beeinflussen, finden sich in dieser Aktensammlung[37]. Ja, selbst ein Erla? an den deutschen Gesandten in Belgrad ist darunter, in dem dieser bereits am 22. Juli, also einen Tag vor überreichung des Ultimatums, den vielsagenden Auftrag erh?lt: ?Wenn ?sterreichischer Gesandter Belgrad verl??t, wollen Euer Exzellenz Gesch?fte und Schutz ?sterreich-Ungarns Untertanen übernehmen[38]".

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