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Wege und Umwege
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Wege und Umwege by Annette Kolb

Chapter 1 No.1

Zwei Stunden von Paris liegt zu Fü?en einer hohen Ruine ein altes St?dtchen, das an einem Hügel herumklettert. Und ringsumher einsiedlerische W?lder, sonnige Gef?lle, lauernde Teiche, an deren Rande dunkle V?gel mit unheimlichen Schritten spazieren gehen; und weltentrückte Auen.

Ein Sp?tsommertag ging zur Neige, als mein Zug vor diesem St?dtchen hielt, das mir allzu stille Tage zu verkünden schien.

Aber in ein Milieu, in dem es ausschlie?lich Abgeordnete, Leiter politischer Revuen und Vertreter gro?er Zeitungen gab, sah ich mich da pl?tzlich wie hineingeschneit. Mein Tischnachbar war gleich am ersten Abend ein ganz schief gewachsener und ergrauter, aber sehr strammer Herr, der mich übrigens g?nzlich ignorierte. Dabei sprach er fortgesetzt, richtete aber seine Worte nur an den Hausherrn. Der Blick seiner Augen, die wie zwei Sterne leuchteten, war starr wie ein Scheibenherz. Mit gr??ter Pr?zision wu?te er eine Reihe von Themen so eindringlich und zugleich so eilig durchzunehmen, als gelte es, innerhalb der wenigen Stunden, die er hier verbrachte, seine Gedanken für Jahre hinaus und auf Jahre zurück zusammenzufassen. Es war dem Uneingeweihten nicht m?glich, ihm zu folgen, oft auch nur zu erraten, wovon er sprach.

Nach dem Essen fuhr er im Salon in derselben gl?nzenden und gedrungenen Weise zu berichten fort. Seine Augen sahen jetzt aus wie zwei gro?e Monokels. Die Damen stickten schweigend oder sprachen leise unter sich. Vor dem brennenden Kamin lag ein englischer Jagdhund ausgestreckt und seufzte vor Müdigkeit. Die Lampen warfen milde Scheine auf die eingelassenen Louis XIII-Spiegel und die laubreichen Tapisserien der W?nde. Durch die hohen Fenster und die schmalen wurmstichigen Türen blies der Wind. Ich war noch auf keine Stickerei eingerichtet, sa? in einer Sofaecke und h?rte den Herren zu; denn ob ich auch ihren Gespr?chen nicht viel entnehmen konnte, interessierte es mich, sie zu betrachten.

Als es 10 Uhr schlug, schnellte der graue Herr empor, empfahl sich den Damen mit gro?er Korrektheit, aber auch mit denkbar gr??ter Kürze, und gleich darauf rollte sein Wagen, der noch den letzten Zug nach Paris erreichen sollte, in aller Eile davon.

Mich hatte dieses Gespr?ch, von dem ich nichts verstehen konnte, in gro?e Aufregung versetzt; und mit der Belletristik oder gar mit Werken der sch?nen Beschaulichkeit war es mit einem Schlage vorbei. Ich holte sie so wenig wie die Stickerei aus meinem Koffer hervor. Denn Zeitungsartikel, Berichte und Telegramme waren das einzig Spannende für mich geworden.

In dem weitl?ufigen Garten, der zu dem Hause geh?rte, gab es eine Auswahl von B?nken, Lauben, steinernen Nischen und Terrassen. Steil und verwildert fiel er die sonnige Felsenwand herab, um sich wie in einem Graben geheimnisvoll und schattig auszubreiten. Dorthin schleppte ich denn auch mein neues Steckenpferd: die Zeitungen und politischen Abhandlungen aller L?nder.

Man stand im Zeichen der ersten sonoren Pendelschwingungen der Entente cordiale mit England einerseits, des Rapprochements mit Italien anderseits; sie und l'Isolement de l'Allemagne bildeten die Parole des Tages. Eines Nachmittags, - den Morgen hatte ich in Paris verschw?rmt - sa? ich wieder in einer Mauernische meiner Gartenwildnis und hielt die letzte Nummer der ?Renaissance latine". Sie brachte den ungemein schneidigen Entwurf einer politischen Karte Europas, mit sensationellsten geographischen Neuerungen. Der Wunsch war darin Vater aller Voraussetzungen, und Deutschland rückte kühn bis in die Polargegenden hinauf, so da? es mit gr?nl?ndischer K?lte von allen Seiten darauf einblies.

Ich notierte Titel und Nummer des Blattes und sah verdrie?lich zum feinget?nten franz?sischen Himmel empor.

Ach, dachte ich, wie wenig wei?t du von Deutschland! - und dachte dann hinüber zu unseren Brücken und H?usern, unseren Mondscheinn?chten und W?ldern.

Ach wie viel tausend Meilen lagen auch sie von hier entfernt, und wie wenig wu?ten sie dort von den Franzosen!

Und ich wu?te auch, hier war keine unüberlegte, instinktive und impulsive Liebhaberei, wie sie England gegenüber oft bei mir im Spiele war, sondern ich vermochte einfach nicht, die Geschicke Frankreichs mit einem gleichgültigen oder unbeteiligten Bewu?tsein zu erw?gen. Von franz?sischen Naturen in zu mannigfacher Weise verschieden, empfand ich die Franzosen zugleich als meine Angeh?rigen, und es schnitt mir oft ins Herz, wie gut ich sie kannte. Denn leider ist es ja noch immer keine Anma?ung, wenn heute der Deutsch-Franzose - und umgekehrt - sich für den allein Befugten h?lt, die Kluft zu messen, die zwei so gro?e Nationen voneinander scheidet, die unzul?ngliche Kenntnis voneinander, in der sie leben, wie die Sehnsucht, die sie zueinander zieht.

Aber noch nie war mir so deutsch zumute gewesen, wie heute morgen, denn nirgends fühlten sich meine Augen so heimisch, mein Herz so eifersüchtig wie in Paris, dem Paris der Renaissance bis zum zweiten Empire, das unsere junge Kultur so weit übertrifft.

Und doch so jung nicht, als da? sie nicht schon einmal des Sterbens Bitterkeit, die traurige Mühsal gekostet h?tte, aus Verwüstung und Schutt zerfallene Türme wieder aufzurichten. Hoch über den stillen Garten hin umri? sich da vor meinem inneren Auge, intakt in ihrem entflohenen Leben, wie der einbalsamierte Leichnam eines Jünglings, eine deutsche Stadt in ihrem unterbrochenen Wachstum. Ihr langentschwundener Frühling prangt an den Marktpl?tzen, den Pforten und Brücken, den Erkern und Laternen. Er weht von den Türmen und Brunnen, durch die H?user und Stuben. Er flutet in den Kirchen und von den Glasgem?lden, und in dem verwitterten Stein umrauscht er Jungfrauengestalten mit ihrem unbeschreiblichen Gemisch deutscher Morbidezza und deutscher Lauterkeit.

Ich sah die Marienkirche und atmete wieder ihre Luft. Und vor den Toren der Stadt jenen anderen Zeugen reinster und so verfeinerter Kunst: das Tuchersche Jagdschlo? mit den verhaltenen Lauschen seiner Fensternischen und Türen, der holden Strenge seiner R?ume, den verschwiegenen Schwellen, der vertr?umten Stiege. Denn die ganze Burg ist reich an Widerhall wie ein Vers von Walther von der Vogelweide, und wir stehen inmitten ihrer Stille wie an einer Brandung.

Aber scholl da nicht von der Burg hernieder, von Dürers Hause, weithin durch alle Gassen, Hans Sachsens Ruf: Habt acht! uns dr?uen üble Streich'!

Nicht l?nger glaubte ich da die Emp?rung verantworten zu dürfen, die mich auf der Fahrt nach Frankreich ergriff, als ich von meinem Zuge aus im Morgengrauen franz?sisch aussehende H?user auf deutschem Boden sah und unvermutet alle Trauer, die an dieser verlorenen Erde haftet, mitempfand, von jener Flut von Trübsal eingeholt, mit ihrem universalen, geisterhaften Anrecht: jenem geheimnisvoll, zeitlos elementaren Etwas - der Zeit bittersten Rest! -, den sie als unser Erbteil zurückl??t. Ach, dachte ich, wann wird der Tag anbrechen, an welchem sich der letzte Schlachtenplan zum letzten Ritterharnisch als Museumstück gesellen wird, weil zwischen Nationen wie den unseren, der Gedanke in Stücke gerissener oder zerschossener Glieder mit der menschlichen Würde nicht l?nger vertr?glich, geschweige denn rühmlich erschiene!

Drei Jahre, glaubte Bismarck, seien das ?u?erste, was sich in der Politik voraussagen lie?e, und: ?für drei Jahre haben wir heute vorgebaut," meinte er nach einem seiner gr??ten diplomatischen Erfolge der achtziger Jahre.

Und darum wissen wir heute nicht, wozu er sich damals entschlossen h?tte, welchen Plan er damals entworfen und ausgemei?elt, ob er dem deutschen Volke nicht einen gleichwertigen anderen Entgeld ersonnen h?tte, wenn er damals schon einer deutschen Kolonialpolitik h?tte Rechnung tragen müssen.

Jene Worte am Abend seines Lebens haben einen so nachdenklichen Klang; ?Das westliche Glacis, das wir ihnen nehmen mu?ten, was sie uns nie vergessen werden."

Es ist der Gedanke an unser zuversichtliches Bewu?tsein alles dessen, was er heute, angesichts der vielen ver?nderten Faktoren unternehmen, an die Initiativen, die ein Mann wie er heute ergreifen würde, der ihn uns unersetzlich erscheinen l??t. Denn der Geist seines Wirkens schuf ihn zu einem Lehrer, weit mehr als seine Taten, die das Schicksal und die Zeit ereilen k?nnen. Und wer tiefer in jenen Geist einzudringen suchte, wie k?nnte der noch zweifeln, da? ein heutiger Bismarck, gleichviel welcher Nation er angeh?rte, jene gro?e Einigungsidee, die einst ein kompaktes Italien und ein kompaktes Deutschland schuf, in erweitertem Sinne zu vertreten und aktuell auszugestalten wü?te? Wer k?nnte zweifeln, da? ein heutiger Bismarck, ob er unser eigener, oder Cavours, oder Gambettas Landsmann w?re, zum Vork?mpfer eines f?derierten Europas würde?

Eins aber konnte nur Paris in seinem überlegenen Reiz mich lehren, dies schimmernde Paris, das sich vollenden durfte, wie inmitten einer Welt des Friedens: Nicht um eine Minute hatten wir die Kultur dieses Landes zurückgeworfen, das als ein unerh?rter Feind der unseren in der Geschichte steht.

Ich war emp?rt in meiner Mauernische aufgesprungen: und nicht l?nger hielt es mich da in dem verlassenen Garten. Der Zwiespalt, der mich bewegte, lie? mir dies Land, mein eigenes, die ganze Welt beengt erscheinen.

Unsichtbare Schatten glitten schon durch das Tageslicht und hielten die alten B?ume umschlungen. In peinigender Flüssigkeit und Sü?e durchschauerten sie die Luft. Wir waren Brüder! Noch stehen sie überall, die Spuren unserer einstigen Gemeinschaft, unsere Kathedralen, unsere Minnelieder und Novellen. Und heute sind wir Nationen, die sich schon lange insgesamt langweilen, weil gerade in der Reife, zu der unsere nationalsten Züge und Besonderkeiten gediehen sind, das Bewu?tsein unserer Halbheit und in der Verschmelzung unserer Qualit?ten der Keim vollkommenerer Typen liegt. Wozu sich bet?ren? Von Herzen froh wird man ja heute nirgends. Kl?glich veraltet und vermorscht sind heute unsere tausendj?hrigen Familienzwiste, als k?nnte ihrer Asche allein der neue Ph?nix unseres Erdteils entsteigen: nur einem ?greater Europe" ein ?greater England", ?greater Germany" und ?greater France".

1905 in der Wiener ?Zeit".

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